Newsletter Juli 2016
Mauscheln und Irren in der Villa Reitzenstein
Gegen Ende des Monats musste Ministerpräsident Kretschmann im Stuttgarter Landtag offen eingestehen, es mit der Transparenz nicht so genau zu nehmen. Zähneknirschend gab er zu, sich geirrt zu haben, nachdem ich ihn im Plenum mit einer Pressemitteilung der hessischen Landesregierung konfrontiert hatte, die seine Behauptung dementierte, auch in Hessen gebe es geheime Absprachen, deren Inhalt nur der dortigen Landesregierung vertraut seien. Bereits vor dieser Sitzung gab er Journalisten während eines Interviews entnervt die überraschende Antwort, dass er schon immer gemauschelt habe und dass man ab und zu mal in der Politik „dealen“ müsse. Ein solcher Deal zwischen dem Führungspersonal der Grün-Schwarzen Landesregierung war ans Licht gekommen, milliardenschwer und ohne Einbezug der eigenen Parteimitglieder, ja sogar an den eigenen Abgeordneten vorbei. Das geht nicht.
Kann man zur Zeit einer Demokratie mehr schaden und die Wähler stärker verhöhnen, als mit einem solchen Verhalten, wie es Herr Kretschmann hier an den Tag legte? Es muss für jeden Wähler der neuen Landesregierung ein Schlag ins Gesicht sein, wenn der Grüne Landesvater zugibt, hinter verschlossenen Türen Beschlüsse zu verabschieden, die dem widersprechen, was öffentlich gemacht wird. Erst recht, wenn ohne Whistleblower niemand davon erfahren hätte, wie die neue Landesregierung bereits Milliarden verplant hat, öffentlich aber den Sparweltmeister mimt.
AfD und AfBW bald wieder AfD?
Aber nicht nur die Landesregierung rückte im Monat Juli in den Fokus der Öffentlichkeit. Die AfD zeigte sich, nach der zugehörigen Debatte im Plenum, nicht einig, wie mit dem Antisemiten Gedeon umgegangen werden solle. Nachdem der Druck für Herrn Meuthen zu groß wurde und er sich als Fraktionsvorsitzender keiner Mehrheit gewiss war, entschloss er sich aus der Fraktion auszutreten und konnte etliche Mitläufer von dieser Idee begeistern. Nur um nach kurzer Trauer eine neue Alternative für Baden-Württemberg zu gründen. Ich möchte daran erinnern, dass sich die AfD-Mitglieder im Stuttgarter Landtag gegen einen zweiten stellvertretenden Landtagspräsidenten ausgesprochen hatten, um dem Steuerzahler unnötige Ausgaben zu ersparen und den von ihnen genannten „Altparteien“ das Sparen beizubringen. Damit war es vorbei als man selbst Anspruch auf einen solchen Posten erheben wollte.
Nun, nachdem das Gutachten des Landtags vorliegt, gibt es zwei Fraktionen, welche sich aus AfD-Abgeordneten zusammensetzen. Diese Fraktionen, jeweils mit einem Vorsitzendengehalt bestückt, werden die baden-württembergische Landeskasse massiv zusätzlich belasten. Das Gutachten des Landtags scheint zu einer Amnesie bezüglich der Finanzdisziplin der AfD-Abgeordneten geführt zu haben. Es ist nicht nachvollziehbar, warum sich die AfD nicht dazu entschieden hat Gedeon aus der Fraktion auszuschließen, um ein Zeichen gegen Antisemitismus zu setzen. Vielmehr gelang es dem rechtspopulistischen Neuzugang im Landtag, die Fraktion aufzuspalten und dem Steuerzahler beachtliche Mehrkosten durch diese fehlende Courage entstehen zu lassen. Das Ganze, um schließlich zu sagen, man beabsichtige, doch wieder als Fraktion zusammenzufinden. Ein Vorbild für eine effiziente Parteiendemokratie ist diese Alternative, welchen Zusatznamen sie auch immer tragen möge, wahrlich nicht. Sie zeigt viel eher, wie man die Politikverdrossenheit durch ungeschicktes, mutwilliges Verhalten und persönliche Eitelkeiten in der Bevölkerung steigern und seine Glaubwürdigkeit verspielen kann. Sandkastenspiele vom Feinsten.
Der blutige Juli in der Türkei
Nur wenige zweifeln mittlerweile noch daran, dass Recep Tayyip Erdogan daran arbeitet, sich eine „gelenkte“ Demokratie mit Präsidialsystem nach russischem Vorbild aufzubauen. Der überhastete und erfolglose Putschversuch vom 15. Juli war wohl eine Reaktion auf die geplanten Säuberungen, die der Präsident bereits vorbereitet hatte. Die Überprüfung und Suspendierung zig-tausender Staatsbediensteter, deren Vergehen es sein soll, dem ehemaligen Kompagnon und jetzigen Erzrivalen Erdogans, Fethullah Gülen nahe zu stehen, stand bereits lange fest. Zudem hatten weite Teile des türkischen Militärs schon seit geraumer Zeit massive Probleme damit, den laizistischen Staatscharakter Atatürkscher Prägung immer weiter aufgeweicht zu sehen. Konfliktlinien, die nach dem gescheiterten Putsch und den harten Reaktionen Erdogans zu tiefen Gräben heran wachsen. Auch mit der Bundesrepublik hat Erdogan so seine Differenzen. Er fordert die Auslieferung zahlreicher hier lebender Gülenisten, gleich welcher Staatsbürgerschaft. Er kommuniziert nicht mehr mit dem deutschen Botschafter, was quasi mit einer Ausweisung gleichzusetzen ist und er stachelt obendrein die hier lebenden Menschen mit Wurzeln in der Türkei an, ihm doch als gute Patrioten zu helfen. Von der geplanten Wiedereinführung der Todesstrafe einmal gänzlich abgesehen. Fast ist man gewillt zu sagen: Dann halt nicht! Wäre da nicht die einseitige Fokussierung von Frau Merkel auf die Türkei als Helfer im Flüchtlingschaos, die ich auch damals schon als naiv gegeißelt habe. So macht man sich erpressbar und ein Politiker wie Erdogan hat auch keinerlei Problem damit, das auszunutzen. Ja er freut sich richtig über das riesige Faustpfand, das ihm da gänzlich allein überlassen wurde. Von dem Mann, der einstmals die wirtschaftliche Prosperität der Türkei gefördert und eine Annäherung im Konflikt mit den Kurden gesucht hatte, ist nun ein Herrscher übrig geblieben, der viele seiner früheren beachtlichen Erfolge gegen eine Politik der scharfen Klinge getauscht hat und die Annäherungen an Europa durch seinen beispiellosen Machtwillen und dem Bedürfnis, der starke Mann zu sein geopfert hat. Insgesamt keine besonders guten Voraussetzungen, um kooperative Lösungen, insbesondere in der Flüchtlingskrise zu erreichen.
Der blutige Juli hierzulande
Die Ereignisse der letzten Tage, der Angriff mit Axt und Messer auf Zugreisende bei Würzburg, der Amoklauf in München, sowie die Ermordung einer jungen Frau auf offener Straße in Reutlingen und der Selbstmordanschlag in Ansbach beeinträchtigen das Sicherheitsgefühl im öffentlichen Raum, genauso wie die erschütternden Ereignisse in Frankreich und der Putschversuch in der Türkei. Die Vielzahl an schrecklichen Ereignissen – jedes für sich zu betrachten – führten in den letzten Tagen dazu, jede neue Gewalttat als Terrorakt zu fürchten. Doch es gebietet sich, Hysterie zu vermeiden und die Ermittlungsergebnisse der Behörden abzuwarten. Der Münchner Amoklauf hatte keinen islamistischen Hintergrund, genausowenig wie der Mord in Reutlingen, der einen Beziehungsstreit als Auslöser hatte. Der schlimme Amoklauf von München hatte, Zeugen- und Medienberichten zufolge sogar rechtsradikale Motive. Alle neun Opfer hatten einen Migrationshintergrund und der Schütze selbst sei stolz darauf gewesen am gleichen Tag wie Adolf Hitler geboren zu sein sowie ein glühender Anhänger der AfD. Nichtsdestotrotz waren am selben Tag die Spekulationen ins Kraut geschossen und ruck zuck von den Rechtspopulisten instrumentalisiert, es handele sich um ein islamistisches Attentat. Nun, dem war nicht so. Trotz all dieser schrecklichen Ereignisse sollten wir uns alle durch diese Gewalttaten nicht in unserem Alltag einschränken zu lassen. Ebenso wichtig ist es für das friedliche Zusammenleben, das Bewusstsein aufrechtzuerhalten, den Islam nicht als Terrorreligion zu brandmarken. Dies würde einen großen Teil der Bevölkerung stigmatisieren, sowie der Integrationsleistung und Partizipation der hier lebenden Muslime an unserer Gesellschaft nicht gerecht werden.
Terror, sei er aufgrund von religiöser oder politischer Radikalisierung, der unsere freie demokratische Grundordnung und das Leben unserer Bürger bedroht, hat keinen Platz in unserer Gesellschaft und muss mit allen Mitteln unseres Rechtsstaates bekämpft werden. Damit dies auch realisierbar ist, ist es unabdingbar, dass die Landesregierung handelt und auf die Forderungen der Freien Demokraten eingeht. Auch wenn unsere Sicherheitskräfte auf Szenarien dieser Art, so schrecklich sie auch sein mögen, gut vorbereitet sind, gibt es auch vom Landesvorsitzenden der Deutschen Polizeigewerkschaft, Ralf Kusterer, heftige Kritik an Grün-Schwarz.
Kusterer fordert, ebenso wie meine Fraktion, eine Erhöhung der Polizeikräfte im Land und eine bessere Ausrüstung für die Beamten, um den neuen Anforderungen, so gut ausgestattet wie nur möglich, entgegentreten zu können. Nach Ansichten meiner Fraktion muss weiter das Landesamt für Verfassungsschutz gestärkt werden, um geplante Straftaten so früh wie möglich zu erkennen und die Täter im besten Fall noch vor der Ausführung zu stoppen.
Die Aufstockung der Polizeikräfte und eine Modernisierung der Ausrüstung sind seit längerem Forderungen der Liberalen. Es ist zu hoffen, dass die Landesregierung jetzt, nach den Ereignissen der letzten Wochen, aufgerüttelt ist, um das Nötige zu unternehmen und der Bevölkerung so viel Schutz wie möglich zu gewähren.
Angesichts der beispiellosen Gewalt der letzten Tage blieb eine interessante Personalie der internationalen Politik nur kurz beachtet. Boris Johnson, ehemaliger Oberbürgermeister von London und neben Nigel Farage Hauptbrandstifter im Lager der Brexitbefürworter, wurde von der neuen britischen Premierministerin Theresa May zum Außenminister bestellt. Auf dass derjenige die Suppe auch auslöffelt, der sie eingebrockt hat. Vermutlich die spannendste Personalentscheidung seit Kaiser Caligulas Pferd Konsul wurde.
Auch in Pforzheim wird gemauschelt
Dieser Tage scheint sehr viel gemauschelt zu werden. Nicht nur der Landesvater mauschelt gerne und viel, auch die Pforzheimer Kommunalpolitik ist völlig zu Recht berüchtigt für ihre Mauscheleien. In den letzten Wochen war das Gemauschel derart offensichtlich, dass es sich ebenso wenig verheimlichen ließ, wie der Geheimvertrag der grün-schwarzen Landesregierung. Und auch hier in Pforzheim gab es sinnigerweise besonders viel Gemauschel zwischen Grünen und Schwarzen. Zunächst wurde mit den Stimmen der CDU eine grüne Lehrerin zur Dezernentin für Bauwesen gewählt, um im Gegenzug die benötigten Stimmen für den eigenen Bürgermeisterkandidaten zu bekommen. Ein Plan, der vermutlich schon vor langer Zeit gemauschelt wurde und durch äußere Umstände etwas umdisponiert werden musste. Es gibt wohl gute Gründe, warum ein Kandidat mit dem perfekten Profil für einen Baudezernenten nun zum Ersten Bürgermeister gewählt wurde. Zuallererst, dass er wohl fürs Baudezernat vorgesehen war. Dummerweise kam da eine Kommunalwahl dazwischen, die vor über zwei Jahren. So verlor die CDU nicht nur ein Mandat, sondern auch das vermeintliche Vorschlagsrecht für das Baudezernat. Damit der bereits Jahre vorher feststehende Kandidat aber nicht leer ausgeht, nimmt man eben den nächsten frei werdenden Bürgermeisterposten. Aufwendige Bewerbungsinszenierungen hätten sich sowohl Grüne als auch CDU sparen können. Die sind einfach überflüssig, wenn das Ergebnis bereits vorher fest steht.
Pforzheimer Finanzbürgermeister
Meine Fraktion hatte im Vorfeld der Wahl zum Ersten Bürgermeister beantragt, das Amt überhaupt nicht mehr zu besetzen. Einen sechsstellig dotierten Bürgermeisterposten, der kaum Aufgaben hat, benötigt niemand. Dieses Geld hätte wesentlich sinnvoller investiert werden können. Beispielsweise, um auf die nun geplante Preiserhöhung für Kita-Essen verzichten zu können. Dafür hätte das Geld ziemlich genau gereicht. Unser Antrag wurde mit den Stimmen von SPD, CDU und Grüner Liste abgelehnt, also genau den Fraktionen, die nun eigene Kandidaten in Bürgermeisteramt und Würden haben. Welch bemerkenswerter Zufall. Schade, aber damit muss man als Demokrat konstruktiv umgehen. Nun ist der Bürgermeister gewählt und für 8 Jahre in Diensten der Stadt. Das konstruktive Vorgehen meiner Fraktion besteht nun darin, einem mehr oder weniger aufgabenlosen Dezernenten Aufgaben zuzuteilen. Wir haben deshalb vorgeschlagen, den Pforzheimer Sonderweg zu beenden, als Großstadt keinen Finanzbürgermeister zu haben. Die Zuständigkeit für Finanzen soll dem Antrag zufolge künftig dem neuen Ersten Bürgermeister übertragen werden. So bekommt sein Dezernat eine Aufgabe, die auch die Größe des Dezernats gut widerspiegelt und die städtischen Finanzen genießen eine höhere Priorität. Das halte ich angesichts der Ausgabenorgien des Oberbürgermeisters und den Finanzproblemen der Stadt auch für dringend geboten. Wir werden sehen, ob CDU, SPD und Grüne sich dieser lange überfälligen Trennung zwischen Oberbürgermeister und Kämmerei anschließen, nun nachdem jeder seine Freunde mit Posten versorgt hat, oder ob der politische Opportunismus einmal mehr obsiegt.
Die Grünen im AfD-Modus
Politisch opportun verhalten sich auch die Grünen im Gemeinderat der Stadt Pforzheim. Innerhalb von sechs Wochen hat es die Fraktion unter ihrem neuen Vorsitzenden Axel Baumbusch geschafft, in einer Fünferkonstellation vier Stadträte ersetzen zu müssen und die Fraktion selbst von fünf auf drei Stadträte zu dezimieren. Dabei ist von einstmals drei Frauen keine einzige übrig geblieben und Herr Meuthen wäre sicherlich neidisch auf den Vorsitzenden der Grünen Liste hier, wie schnell sich die Fraktion gespalten und atomisiert hat. Nun gibt es also eine Grüne-Liste Gemeinderatsfraktion und eine Gruppierung Bündnis/90 die Grünen. Erstaunlich, welch bemerkenswerte Ähnlichkeit AfD und Grüne doch manchmal aufweisen. Der Vorsitzende der AfD im Pforzheimer Gemeinderat weiß da sicherlich Genaueres zu berichten. Er war schließlich auch mal Grüner.
Ihr Hans-Ulrich Rülke