Pressemitteilung

Rülke: Wahlrechtsreform zu wichtig, um sie mit lauter Fehlern zu verabschieden

Risiko von doppelt so großem Landtag, absurde Nachrückerregelungen und Homeoffice-Parlament sind Schwachpunkte in grundsätzlich wünschenswerter Reform


Zur Verabschiedung des neuen Landtagswahlrechts bekennt sich der Vorsitzende der FDP-Landtagsfraktion Dr. Hans-Ulrich Rülke klar zu den Zielen der Reform, mehr Frauen in den Landtag zu bringen, das Wahlalter auf 16 Jahre abzusenken und auf ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht mit geschlossenen Listen wie bei der Wahl zum Deutschen Bundestag umzustellen. Das seien Eckpunkte, die auch für die FDP-Fraktion unstreitig seien.

„Wer das Wahlrecht ändern will, darf aber nicht nur die Diversität in den Blick nehmen, sondern muss auch Rücksicht auf die Rahmenbedingungen nehmen!“ Der vorgelegte Entwurf weise eine Reihe von Mängeln und Rechtsunsicherheiten auf, was die ganze Reform auf wacklige Füße stelle und sehenden Auges horrende Kosten für den Steuerzahler in Kauf nehme.

„An drei Stellen sehen wir Defizite, die wir nicht mittragen. Zunächst einmal halten wir es für hochgradig kritisch, entgegen der Ratschläge renommierter Sachverständiger völlig wirre Nachrückerregelungen zu verabschieden, weil sich Grüne, CDU und SPD gerne Erbhofwahlkreise einrichten möchten. Deren ursprüngliche Idee, Listenmandate ohne demokratische Legitimation durch die Wähler mit Ersatzkandidaten aus dem Wahlkreis als Nachrücker auffüllen zu wollen, wurde als verfassungswidrig verworfen.“ Nun solle kurzfristig mit Listenersatzbewerbern das Ganze geheilt werden, was aber das ganze Prinzip starrer Listen über den Haufen werfe.

„Wir halten es für gut möglich, dass diese Nachrückerregelung vor Gericht nicht standhält, weil der Wähler nicht absehen kann, was mit seiner Stimme passiert, sich ein Kandidat gegen das potenzielle Überspringen von Listenplätzen durch hinter ihm platzierte Kandidaten mit guten Nachrückerplätzen zur Wehr setzt, oder ein Wahlkreisersatzbewerber aufgrund seiner Ungleichbehandlung im Verhältnis zum Listenersatzbewerber klagt. Deshalb sagen wir ganz klar: Wer ein Wahlrecht im Stile des Bundestagswahlrecht will, der sollte eben auch die diesbezügliche Nachfolgeregelung übernehmen. Ohne Ersatzbewerber, nur über die Landeslisten. So wie der Vorschlag nun nämlich auf dem Tisch liegt, wird zwar heute ein Wahlrecht beschlossen, aber in vier Jahren wählen wir dann wieder nach dem alten Wahlrecht, weil die Reform vor Gericht keinen Bestand hatte. Diese reale Gefahr sehen wir.“ Das gelte es zu vermeiden, weshalb Rülke dringend darum werbe, den entsprechenden Änderungsantrag der FDP-Fraktion zu beschließen.

Ebenfalls nicht zu Ende gedacht sei das überhastete und völlig sachfremde Einschieben von zusätzlichen Verfassungsänderungen ohne öffentliche Debatte und am Thema vorbei. „Was Sie da beschließen wollen, ist das Homeoffice-Recht für Abgeordnete, die keine Lust haben, an Plenartagen nach Stuttgart zu fahren!“, so Rülke wörtlich in Richtung der Fraktionen von Grünen, CDU und SPD. „Und das auch noch bei einem Gesetzentwurf, der sachlich rein gar nichts damit zu tun hat.“ Die FDP-Fraktion befürworte selbstverständlich digitale Lösungen, diese müssten aber rechtssicher umsetzbar sein und hinsichtlich solcher weitreichenden Entscheidungen, die den parlamentarischen Betrieb nachhaltig verändern, solle auch eine angemessene öffentliche Würdigung erfolgen. „Wir halten es für grundfalsch, alle Bedenken über die hohen Hürden, die hinsichtlich elektronischer Beschlussfassungen unter anderem das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat, hintenan zu stellen und derart riskant mit der Landesverfassung zu spielen. Dazu besteht weder Not, noch hilft es der Sache.“ Gerne sei die FDP-Fraktion bereit das Thema konstruktiv zu diskutieren und die Rahmenbedingungen für digitale Beschlussfassungen in einen sicheren Rechtsrahmen zu gießen. Bei überhasteten Aktionen, mit hoher Gefahr vor Gericht wieder einkassiert zu werden, mache man aber nicht mit, so der Vorsitzende der liberalen Fraktion.

„Aber als ob diese ganzen Kritikpunkte, die Ihnen nicht nur wir, sondern Ihre eigene Expertin bereits vorgehalten hat, nicht ausreichen würden, wollen Sie sehenden Auges und mit voller Absicht die größte Achillesferse des Bundestagswahlrechts mitbeschließen: Das unverantwortliche Risiko eines überdimensionalen Landtags zu Lasten der Steuerzahler und der Arbeitsfähigkeit des Parlaments!“

Die beiden Sachverständigen – beide absolute Koryphäen im Bereich des Wahlrechts – seien sich einig, dass dies ein herausragendes Problem sei. Mit der so wirksamen, wie einfachen Lösung, die Anzahl der Wahlkreise zu reduzieren, wie von der FDP-Fraktion beantragt.

„Prof. Behnke, hat anhand der realen Ergebnisse der Septemberwahl errechnet, dass die Reform, die Sie beschließen wollen, zu 216 Mandaten geführt hätte. Sie, meine Damen und Herren, haben Schwarz auf Weiß den Beweis dafür, dass es völlig unverantwortlich ist, das Wahlrecht, so wie es auf dem Tisch liegt, ohne eine Reduktion der Wahlkreise zu verabschieden. Ein reales Wahlergebnis vor einem halben Jahr sagt Ihnen, dass die Größe des Landtags locker und lässig 80 % über der Soll-Größe liegen kann und Sie nehmen es einfach in Kauf.“

Im Vergleich zur jetzigen Größe des Landtags, der bereits jetzt relativ gesehen größer sei als der Bundestag, seien das zusätzliche 93 Millionen Euro Mehrkosten, und das nur für die Kosten, die direkt durch die Abgeordneten verursacht würden, etwa durch Diäten, Mitarbeiter und Altersvorsorge. Zusätzliche Staatssekretäre seien da noch gar nicht mit eingerechnet, so Rülke.

„Sie können sich gerne vorstellen, was passiert, wenn die nächste Wahl tatsächlich so ausgeht wie die Bundestagswahl. Dann passen hier gar nicht mehr alle herein. In Brandenburg wurde 2019 die Rechnung für den neuen Landtag präsentiert. 138 Millionen hat der gekostet mit Platz für 88 Abgeordnete. Hundert Meter von Ihrem Sitz entfernt steht das Staatstheater. Veranschlagte Sanierungskosten: Eine Milliarde Euro. Ich überlasse gerne Ihrer Phantasie, was wohl ein neuer Landtag in Baden-Württemberg kosten würde. Und Sie sind in der Rechtfertigungspflicht vor der Bevölkerung, wenn das tatsächlich notwendig wird. Lange genug haben wir gemahnt.

Um die Haltung der FDP-Fraktion zusammen zu fassen: Wir sind gerne bereit, heute mit Ihnen ein neues Wahlrecht zu beschließen. Dafür haben wir aber drei Bedingungen. Sie sollten die kritischen, sachfremden Verfassungsänderungen herausnehmen, unseren Vorschlag beschließen, mit einer Reduktion auf 60 Wahlkreise das Risiko für eine Aufblähung des Parlaments massiv zu verringern und die skurrile Konstruktion um die Nachfolgeregelung unserem Vorschlag entsprechend auflösen. Rechtlich einwandfrei geregelt über die Landeslisten. Dann beschließen wir heute mit Ihnen ein neues Wahlrecht. Falls Sie dazu nicht bereit sind, lehnen wir die Reform ab.“