Rülke: Wir setzen auf das richtige Maß bei der europäischen Zusammenarbeit
In der Debatte zur Regierungserklärung von Ministerpräsident Kretschmann zum Europaleitbild der Landesregierung, bei der er die Brexit-Krise zum Anlass nimmt, das Land eingangs des Europawahljahres europapolitisch zu positionieren, teilt der Vorsitzenden der FDP/DVP Fraktion, Dr. Hans-Ulrich Rülke, Kretschmanns Auffassung, dass sich Europa am Scheideweg befinde und die Europäische Union in einer Orientierungskrise sei: „Bilanzierend gebe ich ihm Recht, dass Europa für Baden-Württemberg Teil der Staatsraison ist, wie das schon in der Landesverfassung zum Ausdruck kommt.“
Nach Aussage Rülkes gehe es in der Tat um die Frage, ob das vereinte Europa sich erneuere oder ob es in die Zeit des Nationalismus und der Kriege zurück falle: „Aus meiner Sicht geht es in diesem Jahr um die Frage, ob der Nationalpopulismus – wie wir ihn in Polen, Ungarn, Italien und anderen Ländern erleben – immer mehr Zulauf erhält und am Ende möglicherweise die EU kaputt macht. Auch in Deutschland hat die AfD die Möglichkeit eines Austritts aus der EU beschlossen und zeigt damit, dass diese Partei eine Gefahr für Deutschland ist!“, so Rülke. Es müsse nach seinen Aussagen deutlich werden, dass der europäischen Integration ein Dreivierteljahrhundert Frieden in Deutschland zu verdanken sei und dass – gerade in Baden-Württemberg in der Mitte des Kontinents – offene Grenzen und offener Welthandel zentral für den Erhalt des Wohlstands seien.
Rülke differenziert in seiner Stellungnahme zu den Ausführungen Kretschmanns: „Der Ministerpräsident fordert ein Europa der Werte und nennt Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat. Dem pflichte ich bei. Außerdem will er weniger Einstimmigkeitsentscheidungen, sondern mehr Mehrheitsvoten bei Entscheidungen auf europäischer Ebene. Da bin ich skeptisch.“ So könne es nicht sein, dass Malta und Luxemburg dieselbe Stimmkraft hätten wie Deutschland. Als Beispiel nennt Rülke den Beschluss „abstruser Grenzwerte wie der Stickoxidgrenzwert, der zu den Fahrverboten in Stuttgart geführt hat.“ Außerdem sei auf jeden Fall zu vermeiden, dass eine – bis auf wenige Ausnahmen – wirtschaftsfeindliche Kommission der Europäischen Union die Herrschaft über die heimische Volkswirtschaft übernehme.
„Es ist richtig, ein Europa der Subsidiarität zu wollen, das aber auch in vielen Bereichen auf Zusammenarbeit setzt“, so Rülke und nennt als Beispiele die Lösung des Migrationsproblems, die gemeinsame Sicherheitspolitik, die Digitalisierung und den Emissionshandel. Er plädiert für das richtige Maß bei der Zusammenarbeit: „Für unsere Sparkassen und Volksbanken sind keine Rettungsschirme wie bei den Großbanken nötig, aber ein Klimanationalismus ist ebenso unnötig “, so Rülke, „denn Baden-Württemberg und Deutschland werden nicht im Alleingang das Klima retten.“
Er kritisiert, dass das Thema Energiewende beim Ministerpräsidenten fehle: „Ein deutscher Sonderweg in der Energiepolitik funktioniert erkennbar nicht“, so Rülke, „schon gar nicht ein baden-württembergischer Sonderweg mit Windrädern, wo kein Wind weht. Wir brauchen ein gesamteuropäisches Netz und eine gesamteuropäische Energiestrategie und nicht 16 Energiewenden in 16 Bundesländern.“ Rülke fordert Subsidiarität auch in der Verkehrspolitik ein. Er stellt fest, dass Technologieoffenheit in den Antriebssystemen und der Verbrennungsmotor noch viele Jahre benötigt würden. „Alles andere legt die Axt an den Automobilstandort Baden-Württemberg, an die Zuliefererindustrie und damit auch an die Wurzel unseres Wohlstands“, so Rülke.
Zu der vom Ministerpräsidenten beschworenen Bürgerbeteiligung bei der Europastrategie stellt Rülke fest, dass die damit beauftragte Staatsrätin Gisela Erler nach eigenen Aussagen Zufallsbürger ausgewählt hätte: „Wahrscheinlich kamen auch Zufallsergebnisse heraus. Jedenfalls hat man bisher noch kaum etwas über die Ergebnisse gehört.“
Als erfreulich bezeichnet es der Vorsitzende der FDP/DVP Fraktion, dass auch bei diesen Bürgern die Grundeinstellung zur EU positiv sei. „Man muss aber schon zur Kenntnis nehmen, dass die Leute nicht wollen, dass die EU überall präsent ist und dass auch Kritik geäußert wurde“, merkt Rülke an und sagt an die Adresse des Ministerpräsidenten gewandt, dass er bei ihm das Bekenntnis vermisse, wonach man zwar ja zu Europa, aber nein zur Schuldenunion sage.
Zusammenfassend stellt Rülke fest, dass das Bekenntnis zu Europa in der Tat Teil der Staatsräson des Landes Baden-Württemberg sei. So habe Europa Frieden und Wohlstand gebracht und eine enge Kooperation sei auch weiterhin das Ziel der Liberalen. Dies aber nicht pauschal: „Auswüchse wie das Streben nach einer Schuldenunion und eine wirtschaftsfeindliche Umweltpolitik wollen wir vermeiden“, so Rülke und stellt abschließend fest: „Das gemeinsame Ziel aller demokratischen Kräfte muss es sein, bei der Europawahl im Mai den Nationalpopulisten eine deutliche Abfuhr zu erteilen.“