August 2022
Sehr geehrte Bekannte, Freunde und Mitglieder der FDP,
der Stuttgarter Landtag und der Pforzheimer Gemeinderat befinden sich in der Sommerpause. Im September werden die gewählten Vertreter der Bürgerinnen und Bürger wieder in Sitzungen zusammenfinden. Die politische Arbeit verliert aber auch im „Sommerloch“ nicht an Schwung.
Aktuell steht das Land von enormen Herausforderungen und viele Bürger erwarten Antworten von der Politik auf ihre berechtigten Sorgen. Der völkerrechtswidrige Überfall auf die Ukraine hat die Abhängigkeit Deutschlands und Baden-Württembergs zu russischem Gas offensichtlich werden lassen. Leider zahlen wir aktuell den Preis dieser Abhängigkeit.
Nachdem Russland Energie als Waffe einsetzt, ist es folgerichtig, dass wir die Energieversorgung Deutschlands und Baden-Württembergs neu ausrichten. In den vergangenen Wochen und Monaten habe ich mit vielen Menschen im Land über diese Themen gesprochen und auch in den alljährlich stattfindenden Sommerinterviews Stellung zu Fragen der Versorgungssicherheit, Energiepolitik und Ratschlägen aus der Politik zum individuellen Hygieneverhalten der Bürger bezogen.
Ministerpräsident Winfried Kretschmann möchte die Krise mit Einsparen und Verzicht überwinden, das machte er Ende Juli auf dem „Krisengipfel Gas“ in Stuttgart klar. Jedoch stellt sich die Frage, ob die Potenziale, die durch Verzicht eingespart werden können, ausreichen, damit die Wirtschaft auch über den Winter mit Gas versorgt werden kann und Wohnungen weiter beheizt werden. Was ist, wenn die Strategie des Ministerpräsidenten scheitert? Die FDP/DVP-Fraktion hält pragmatisches Handeln und einen ganzheitlichen Blick auf die Möglichkeiten in der aktuellen Situation für angebrachter.
Unter pragmatischer Politik verstehen wir Liberale Versorgungssicherheit für die Menschen im Land in den Mittelpunkt zu stellen und dafür auch parteipolitische Scheuklappen abzulegen. Pragmatische Politik meint ebenfalls über effektive Maßnahmen zur Erschließung zusätzlicher Ressourcen nachzudenken, um die Versorgungssicherheit auf viele Säulen zu verteilen.
Sowohl während des Gasgipfels als auch bis heute hört man dazu von den Regierungsparteien in Baden-Württemberg recht wenig, insbesondere von den Grünen, wenngleich ich die jüngste Ankündigung der grünen Fraktion im Landtag ausdrücklich begrüße, sich einer notwendigen Debatte über einen AKW-Streckbetrieb nicht mehr kategorisch verschließen zu wollen. Sich aber nur einer notwendigen Debatte nicht mehr verschließen zu wollen, ist nicht ausreichend: Es werden nach wie vor etwa 15 Prozent – und damit Milliarden Kubikmeter – des nach Deutschland strömenden Gases verstromt. Wo Gas knapp und extrem teuer geworden ist, ist ein zeitweiliges Ende der Gasverstromung längst überfällig. Es müssen die politischen Weichen gestellt werden, um die uns noch verbliebenen Kernkraftwerke auch über den Winter weiterzubetreiben und so die aktuelle stattfindende Gasverstromung zu substituieren. Dabei geht es nicht um die unbegrenzte Laufzeitverlängerung, also den Ausstieg aus dem Ausstieg der Kernenergie. Ich kann mir einen befristeten Weiterbetrieb bis Mitte 2024 vorstellen.
Auch beim Thema Fracking, bei dem Erd- und Schiefergas in Deutschland und BadenWürttemberg gefördert werden könnte, hört man vom politischen Wettbewerber viel Ablehnung. Jüngst ließ sich CDU-Landeschef Thomas Strobl mit den Worten zitieren: „Der Bodensee ist absolut tabu. Hände weg vom Bodensee“, wenngleich die FDP überhaupt kein Fracking im Bodensee gefordert hat. Gleichzeitig unternimmt Bundesklimaminister Robert Habeck alles dafür, um schnellstmöglich eine Flüssiggas-Infrastruktur aufzubauen, die amerikanisches Fracking-Gas Co²-intensiv und vergleichsweise teuer über den Atlantik nach Deutschland transportieren soll. Was ist das für eine Logik? Fracking-Gas ist kein Problem, solange es aus den USA kommt? Die Klimabilanz ist nachrangig, solange nicht hierzulande Fracking betrieben wird? Das konnte mir bisher keiner meiner Kollegen von den Grünen im Landtag erklären. Verständlich, wenn man damit dem Klimaschutz einen Bärendienst erweist. Daher plädiere ich für eine vorurteilsfreie Prüfung heimischer Förderpotenziale. Was für heimisches Fracking spricht, ist, dass es nicht wie in anderen Teilen der Welt um Fracking in Wild-West-Manier geht, sondern dass die heimische Förderung regionale Besonderheiten berücksichtigen würde und deutsche und europäische Umweltstandards eingehalten würden und dabei auch den bei Flüssiggasimporten anfallenden Energie- und Transportaufwand vermeiden könnten. Noch bis Anfang der 2000er-Jahre konnten 20 Prozent des deutschen Gasverbrauchs durch heimische Quellen gedeckt werden. Es geht hier also um viele Millionen Tonnen klimaschädlichen Co², die man einsparen könnte. Die Wiederaufnahme der Erdgasförderung könnte bereits in wenigen Monaten die Versorgungslage stabilisieren und Wirtschaft und Gesellschaft spürbar entlasten. Herrn Strobl kann ich nur erwidern, dass es im Bodensee keine Gasvorkommen gibt und deshalb dort auch niemand Schiefergasfelder erkunden will. Herr Strobl sollte sich auf die seit Wochen laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart konzentrieren, die wegen vermeintlicher Straftaten gegen ihn laufen. Grundsätzlich gilt aber: Bevor Pleiten, Prekarisierung und Perspektivlosigkeit billigend in Kauf genommen werden, muss die Politik alle zur Verfügung stehenden Potenziale pragmatisch prüfen!
Es ist sicherlich unklug, in der aktuellen Situation Wärme und Energie unnütz zu verschwenden. Was ich jedoch für bedenklich halte, ist, wenn Politiker mit nicht zu knappem Salär den Menschen in diesem Land bevormundende Ratschläge erteilen, höchstens fünf Minuten zu duschen und die Wassertemperatur zu senken oder künftig doch auf den Waschlappen auszuweichen. Mit Tipps, wie etwa selten genutzte Räume nicht mehr zu heizen, braucht man die Menschen in unserem Land nicht zu belehren. Das merkt jeder Haushalt bereits, wenn die nächste Rechnung des Versorgers im Briefkasten liegt. Leider!
Mittel- und langfristig setzen wir Liberale auf erneuerbare Energien. Ich halte den Wunsch mancher jedoch für eine Illusion Baden-Württemberg mit Solar- und Windkraft energieautark machen zu können. Baden-Württemberg ist das Bundesland mit der geringsten Windhöffigkeit. Was wir brauchen, ist der Import von erneuerbaren Energien, wo sie effizient hergestellt werden: Photovoltaik aus dem Süden, Wasserkraft aus Skandinavien, Windkraft von der Küste und hoher See und gegebenenfalls aus Südamerika, um dort synthetische Kraftstoffe herzustellen. So wollen wir Liberale in Zukunft das Land mit Energie versorgen und das Klima schonen. Für diesen Kurs werbe ich.
Es grüßt Sie herzlich
Ihr Hans-Ulrich Rülke